Wenn Jesus und Judas gemeinsam Klinken putzen gehen, dann muss das einen besonderen Grund haben. Die beiden Darsteller der Fränkischen Passionsspiele Sömmersdorf von 2018 zählen zu den sechs Zweier-Gruppen, die in Sömmersdorf von Haus zu Haus gehen.
Sie befragen alle Einwohnerinnen und Einwohner, ob sie im nächsten Jahr wieder dabei sind: Als Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Freilichtbühne, um die Geschichte vom Leben und Sterben Jesu 2024 wieder neu zu erzählen, oder als Helferinnen und Helfer vor, hinter und neben dem Geschehen.

Corona-Pandemie hat neue Passionsspiele verzögert

Den Fünf-Jahres-Rhythmus der Fränkischen Passionsspiele Sömmersdorf hat die Corona-Pandemie verändert, weshalb nun sechs Jahre später, vom 23. Juni bis 18. August 2024, wieder das Freilichtspiel in der beeindruckenden Bühnenkulisse am Dorfrand aufgeführt werden soll. Seit 90 Jahren schon zeigen die Sömmersdorferinnen und Sömmersdorfer „ihr“ Passionsspiel, begeisterten zuletzt 35.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. 2020 wurde es sogar zum „Immateriellen Kulturerbe“ Bayerns erklärt.
Für viele Alteingesessene gehört es einfach dazu, beim Passionsspiel mitzumachen. Etwa für die 83-jährige Elisabeth Seemann, die „selbstverständlich dabei ist, wenn es gesundheitlich geht“, wie sie erklärt. Sie will wieder im jüdischen Volk „Hosianna“ rufen, wenn Jesus in Jerusalem einzieht, oder bei der Kreuzigung mitleidend am Wegrand weinen.
Auch für den Ehrenvorsitzenden des Passionsspielvereins, Robert König, ist es gar keine Frage. „Ob ich wieder den Pilatus spielen werde, weiß ich nicht“, meint der 71-Jährige. „Ich habe bei meiner Befragung `Sprechrolle´ und `Volk´ angekreuzt.“
Alle Beteiligten sind stolz auf die Gemeinschaftsleistung ihres 680 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Dorfes. 420 Mitwirkende, davon 280 auf der Bühne, wurden 2018 gezählt. Sie schätzen das Miteinander von Groß und Klein auf und hinter der Bühne, die besondere Atmosphäre und wissen um die Qualität ihres Spiels.

Auch Neubürgerinnen und Neubürger werden rekrutiert

Etliche Neubürgerinnen und Neubürger aber kennen das „Erlebnis Passion“ noch nicht. Aber gerade sie werden 2024 gebraucht. Denn seit dem letzten Spieljahr sind etwa 30 Einwohnerinnen und Einwohner gestorben, etliche davon waren richtige „Aktivposten“ für den Verein.
Deshalb klingeln Jesus-Spieler Tobias Selzam und Judas-Darsteller Johannes Gessner jetzt in der Neubausiedlung an jeder Haustür. „Die meisten haben eine grobe Vorstellung davon, worum es geht“, sagt Gessner, der auch als dritter Vorsitzender dem Passionsspielverein vorsteht. Viele Zugezogene wurden bereits beim Neubürger-Empfang von Euerbachs Bürgermeisterin Simone Seufert mit den Sömmersdorfer Vereinen informiert.
An einem gelb getünchten Haus öffnet das Ehepaar Dirk und Tatjana Schwenzer. Seit einem Jahr wohnen sie mit ihren Kindern Luca und Maddie im Ort, der Familienvater wurde von den Einheimischen gleich für den Kindergartenvorstand rekrutiert, erzählt er. „Wir wollten nicht anonym durchs Dorf gehen“, begründet der 41-Jährige. Weshalb beide auch gleich zusagen, bei der Passion dabei zu sein.
„Wir haben im vergangenen Jahr manchmal bei den Proben zu Robin Hood zugesehen, das war toll“, erzählt Tatjana Schwenzer. Dass die Bühne so groß sei, habe sie zuvor nicht gewusst, sagt die gebürtige Schwebheimerin. „Das ist wirklich beeindruckend“.

Um Teil der Passionsspiele zu sein, gibt es Voraussetzungen

Als Hobby für die ganze Familie beschreibt Johannes Gessner die Mitwirkung beim Passionsspiel, denn man würde viel Zeit miteinander am Bühnengelände verbringen, bei den Proben und den Vorstellungen. „Wenn man eine Rolle möchte, muss man möglichst immer da sein und kann in der Zeit nicht in Urlaub fahren“, klärt er auf.
Etwa 100 Rollenträgerinnen und -träger braucht es für das Theaterstück, vor allem Männer. Im Oktober werden die Besetzungen bekanntgegeben, im November bis Dezember beginnen die doppelt besetzten Hauptrollen – Jesus, Apostel, Hoher Rat, König Herodes, Pontius Pilatus, Maria und Maria Magdalena – mit den Proben in der Robert-Seemann-Halle. Das jüdische Volk startet um Ostern herum auf der Freilichtbühne mit den Stellproben.
Weil die meisten Mitspieler berufstätig sind, wird Freitagabend, samstags und Sonntagvormittag geprobt. „Aber nicht immer müssen alle da sein, das wird szenenweise eingeteilt“, schiebt Tobias Selzam nach.
Wer mitspielen will, muss nicht besonders gläubig sein, beantwortet Gessner die Frage Dirk Schwenzers. Bedingung ist nur aktuell oder ehemals Einwohnerin beziehungsweise Einwohner Sömmersdorfs gewesen zu sein oder einen engen Verwandtschaftsgrad zu haben.

Besondere Fähigkeiten gesucht: Bei den Passionsspielen gibt es viel zu tun

Während sich der Familienvater aus Cottbus vorstellen kann, eine kleine Sprechrolle zu übernehmen – in Hochdeutsch, wie er zwinkernd sagt –, meint seine Frau, sie könne mit den Kindern beim Volk mitgehen. Gessner holt die Meldebögen hervor, um die Personalien einzutragen, aber auch die Kleider- und die Schuhgröße für die Kostüme und Sandalen.
„Besondere Fähigkeiten“ will er noch wissen, etwa Gesang, Tanz, aber auch Technikaffinität oder Nähkünste. Denn auch bei Licht und Ton, Bühnenbau, Maske oder Kostümen werden ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gebraucht. „Nähen kann ich etwas“, meint Tatjana Schwenzer. Zwar ist ein Grundstock an Kostümen im Bühnenhaus vorhanden, aber es wird auch neue Kleidung geben, hat Regisseurin Silvia Kirchhof angekündigt, die erstmals die Spielleitung übernehmen wird.
Natrlich muss noch die Bart-Frage geklärt werden: Ob Dirk Schwenzer sich für eine Rolle auch einen Vollbart wachsen lassen würde. Der Gefragte arbeitet im Vertrieb, „aber ein bisschen mehr als jetzt geht schon“, meint er mit einem Griff an seine Bartstoppeln. Was die beiden Vereinsmitglieder auch klarstellen: Geld fürs Mitspielen gibt es nicht, aber für jede Vorstellung einen Verzehrbon für Essen und Trinken.

Deutlich gestiegenes Interesse: Immer mehr Freiwillige wollen dabei sein

Zufrieden über diesen Hausbesuch zeigen sich die beiden Alt-Sömmersdorfer hinterher: „Wir freuen uns über jeden, der mitmacht“. Beide waren selbst als Kinder und Jugendliche mit Eltern und Geschwistern beim Passionsspiel dabei, beide lebten aus beruflichen Gründen längere Zeit nicht in der Region. „Für mich war die Passion mit ein Grund, wieder zurückzukommen“, sagt Johannes Gessner.
Ob Tobias Selzam noch einmal in seine Rolle als Jesus schlüpfen will? „Ich würde schon gerne“, meint der 44-Jährige Lehrer. „Aber wenn es jüngere Bewerber gibt, wäre es eine Gelegenheit, einen Wechsel zu vollziehen“.
Tatsächlich gibt es diesmal einige Interessierte, weiß Vereinsvorsitzender Nobert Mergenthal. Er hat die 765 Fragebögen von Sömmersdorferinnen und Sömmersdorfern sowie bisherigen auswärtigen Mitwirkenden ausgewertet: 563 Personen wollen 2024 bei der Passion dabei sein, 140 mehr als beim letzten Mal. „Das ist ein starkes Zeichen und ein fulminanter Beweis, dass so viele hinter uns stehen“, sagt er und weist damit auf den andauernden Konflikt mit ein paar Nachbarn des Bühnengeländes hin.
Über 400 Einwohnerinnen und Einwohner wollen als Schauspielende mitwirken, davon 165 als Rollentragende und 234 im jüdischen Volk. Weitere 164 bieten sich als Helferinnen und Helfer an. „Viele junge Leute möchten Rollen übernehmen“, weiß Mergenthal. „Das ist toll, denn wir wollen auch in Zukunft weiter Theater auf unserer Bühne spielen.“

 

Text: Silvia Eidel

 

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