Copyright: Silvia Eidel

Vorne auf der Bühne schreit Jesus die Händler im Tempel an und wirft mit lautem Gepolter ihre Tische um. Hinten im Zuschauerraum flext ein Arbeiter die Profile für die Zeltmembran zurecht und oben im Hubsteiger über den Köpfen der Schauspieler schrauben Männer an der stählernen Dachkonstruktion. An vielen Baustellen wird am Freilichtspielgelände Sömmersdorf gleichzeitig gearbeitet, denn der Countdown läuft, bis ab 24. Juni nach fünf Jahren wieder die Fränkischen Passionsspiele gezeigt werden.

Jesus ist fertig, die Szene „abgefrühstückt“, wie es Profi-Regisseur Hermann J. Vief und seine Kollegin Marion Beyer ausdrücken. Statt Händler lassen sich jetzt bei orientalischer Musik die Mitglieder des Hohen Rates im Bühnenhaus nieder. Zuerst grübelt Egbert Pfeuffer als bärtiger Hoher Priester Kajaphas darüber, wie diesem Mann aus Nazareth mit seinen revolutionären Reden beizukommen ist. Dann ist Wechsel und Norbert Mergenthal brütet über eine List.
Etwa 20 Hauptrollen sind beim Theaterstück über das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu doppelt besetzt, eine Entlastung für die Amateur-Schauspieler an den 18 Vorstellungen dieser Spielsaison auf der Waldbühne des 680 Einwohner-Dorfes. Präsent sind dennoch alle Darsteller, jeweils als alternierende Figuren, in diesem Fall als Ratsmitglied Theophilos. Notfalls können sie so dem anderen über Texthänger hinweghelfen.

„Der Fokus liegt heute auf allen Gängen, auf den Wegen, dem Tempo und dem Timing“, hat Regisseur Vief den 320 Spielern am Morgen angesagt. Bei dieser technischen Probe auf der Freilichtbühne sollen erstmals alle 20 Szenen des Drei-Stunden-Stücks im Zusammenhang laufen. „Wir müssen die Spieler in kurzer Zeit wieder coachen, denn bei manchen sind die letzten Einzelproben schon vier Wochen her“, erklärt Regisseurin Beyer. Aber sie weiß aus der Erfahrung von 2013: „Das wird.“

Mit ihren Vorbereitungen liegt die Regie im Zeitplan und auch mit den Leistungen und der Probendisziplin der Sömmersdorfer ist sie zufrieden. Vief muss allerdings die Mikrofonträger noch daran erinnern, beim Verlassen der Bühne nicht ins private Gespräch zu verfallen. „Da heißt’s dann nicht, bei den Bayern steht’s Drei zu Null“, ermahnt er.

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Beeinträchtigt wird diese Wochenendprobe allerdings durch die Bauarbeiten am Platz. Witterungsbedingt und wegen Planungs- und Fertigungsproblemen liegt der Aufbau des neuen Zuschauerdaches in Zeitverzug. Zwar wölbt sich mittlerweile die 170 Tonnen schwere Stahlkonstruktion über den 45 Meter breiten und 40 Meter langen abfallenden Platz.

Aber darauf muss noch aufwändig die Zeltmembran in sechs Teilen aufgezogen und gespannt werden. 1600 Quadratmeter Oberfläche werden mit dem reißfesten und begehbaren Polyestergewebe bedeckt, erläutert der Bauleiter der Firma Velabran, Hans-Peter Seitz. Er schneidet gerade die Profile für die Aufhängung zurecht. Das aufwändige Verfahren mit Verschweißen, Vorspannen, Verankern und Endspannen braucht Sorgfalt – und Zeit. Die wird mittlerweile knapp.

Denn in die Dachkonstruktion müssen für neue Licht- und Tontechnik noch 1,5 Kilometer Kabel eingezogen werden. Scheinwerfer für das Bühnengeschehen, 24 Leuchten für den Zuschauerraum und zwei riesige bananenförmige Lautsprecher müssen ebenfalls aufgehängt werden, notfalls auch nachts.

30 neue Mikrofone, 26 für die Schauspieler, vier für die Live-Musiker in neu gebauten Orchesterraum, sind bereits kalibriert. Die Vorbühne braucht auch noch Mikros, damit die Geräusche der Schauspieler zu hören sind. Die nötigen Ton- und Lichtmischpulte dazu sind in der neuen Technikkabine am hinteren Platzende bereits eingebaut.
Auch eine 28 Quadratmeter große LED-Videowand in der Innenbühne ist schon installiert. Sie soll einigen Szenen mehr Tiefe geben, dem Saal des Hohen Rates etwa oder dem Palast des Königs Herodes. Eine halbe Million Euro kostet die gesamte neue Technik.

Während sich auf der Bühne Jesus mit seinen Jüngern unter den dunklen Klängen einer Duduk-Flöte auf den Weg nach Jerusalem macht, misst Vereinsvorsitzender Robert König im Zuschauerraum aus, wo die Sitzschalen montiert werden. 1920 Plätze wird es wohl geben, rechnet er aus. Dafür wird er mit anderen Freiwilligen mehrere tausend Löcher für die Sitzhalterungen in den Betonboden bohren.

König muss erst am nächsten Tag, am Sonntag, seine Jeans gegen den Brustpanzer des römischen Statthalters Pontius Pilatus tauschen und diesen Jesus zum Tode verurteilen. Deshalb kann er jetzt mit dem zweiten Pilatus, Vereinskassier Dieter Mergenthal, die Abstände der Stuhlreihen festlegen.

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Die beiden Männer zählen zum engeren Vereinsvorstand von fünf Personen. Diesem zur Seite steht ein zehnköpfiger Beirat, der das Führungsteam durch selbstständige Ausschüsse unterstützt: für Bühnenbau, Lichttechnik, Tontechnik, Kostüme, Maske, Marketing, Finanzen, Nachwuchsarbeit und Fortbildung, Robert-Seemann-Halle sowie Bau und Instandhaltung der Liegenschaften.

Alle Verantwortlichen erledigen ehrenamtlich mit freiwilligen Helfern die Vereinsarbeit, ihren Lebensunterhalt verdienen sie in anderen Berufen. Vorsitzender König ist in Rente, ein Glück für den Verein, denn seine Arbeit ist ein Full-Time-Job, der einen Geschäftsführer rechtfertigen würde.

Für die Passionsspiele, aber auch für die Freilichtkomödien wie „Don Camillo“ engagiert der Verein dann echte Profis, hauptberufliche Theaterregisseure wie Vief und Beyer. Und auch für die meisten der aktuellen Bauarbeiten zur Weiterentwicklung des Freilichtgeländes sind Fachfirmen nötig. Fast 2,8 Millionen Euro soll dies kosten. „Es wird aber wohl mehr werden“, schätzt König angesichts unerwarteter Probleme.

Mit kritischem Blick verfolgt Ruth Stark am Bühnenrand die jubelnden Massen beim Einzug Jesu in Jerusalem. „50 neue Volksgewänder haben wir genäht“, erzählt die Sömmersdorferin, „weil so viele diesmal mitspielen wollen. Und viele Kinderkleider, denn so viele Babys wie heuer hatten wir noch nie“. Mit sechs weiteren Frauen fertigte sie neue Uniformen für die Tempelwächter, änderte vorhandene Kostüme, legte das weiße Gewand der Ehebrecherin in Tee ein oder bastelte aus Joghurtbechern Kopfbedeckungen für neue Spieler des Hohen Rats. „Wir suchen halt die günstigste Lösung“.

Wie bei vielen Familien des Dorfes hilft auch ihr Mann Kurt wie selbstverständlich bei den Passionsspielen mit, als Bühnenbauer. Sohn Stefan steht als Apostel Johannes auf der Bühne, Tochter Lisa als Magd am Feuer. Ihr gegenüber wird Petrus seinen Herrn verleugnen.

Außerdem bietet die Familie in ihrem Garten den drei Eseln Quartier, die eigens für die Passionsspiele ausgeliehen wurden. „Die können ganz schön laut schreien“, lacht Ruth Stark, die sich aber über ihre tierischen Gäste freut. „Das ist eine schöne Zeit, wenn Lilli, Alfred und Elsa da sind“.

Es ist Mittag geworden. „Ein Leberkäsbrötchen wär‘ jetzt recht“, meint Judas-Darsteller Frank Greubel, der gerade seinen Wechsel-Spieler Johannes Gessner beobachtet. Der macht Jesus Vorhaltungen wegen der leeren Apostel-Kasse.

So profan wird die Verköstigung der gut 30.000 Besucher der Passionsspiele nicht werden. Denn die Sömmersdorfer zählen auf das Gesamtpaket Passionsspiele, mit erstklassigem Schauspiel, Atmosphäre und Versorgung der Besucher. Daher warten orientalisch angehauchte Gerichte, zählt Marketing-Beauftragter Norbert Mergenthal auf: Reispfanne mit Kichererbsen, Lammbällchen, Datteln im Speckmantel oder orientalische Pizza. Dazu extra etikettierter Nazarener-Weißwein und Magdala-Rotwein aus der Region und eigens aus Israel importierter Roter. Den Verkauf von Speisen und Getränken übernehmen hauptsächlich die Vereine.

Gut durchorganisiert erscheint das Mammut-Projekt Passion, auch wenn immer mal wieder improvisiert werden muss. Genauso akribisch wird vom ZDF der katholische Fernseh-Gottesdienst geplant, der am 27. Mai um 9.30 Uhr von der Freilichtbühne übertragen wird. „Wir freuen uns auf jeden, der kommt“, sagt Vereinsvorsitzender König. Der langjährige Wortgottesdienstleiter wird er im Pilatus-Kostüm die Lesung des Tages vortragen. Und damit verdeutlichen, dass für die Sömmersdorfer die Passion mehr als ein Spiel ist.

 

Text: Silvia Eidel, freie Journalistin

 

 

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